Innehalten

28 september 2017 - Ilok, Kroatië

Kroatien, „mein“ fünftes Land!

Gerade ein paar Wörter ungarisch gelernt und ein bisschen daran gewöhnt in Forint zu bezahlen, muss ich statt ‘köszönöm’ (=danke) ‘hvala’ sagen und Kunas in meinem Geldbeutel haben… Kuna bedeutet Marder und stammt noch aus dem Mittelalter, wo man mit Marderfellen bezahlte.

Es ist doch etwas Faszinierendes mit den Sprachen! Wer denkt sich denn so eine schwierige Sprache als das Ungarisch aus? Die Babys müssen alle hochbegabt geboren werden… (Nicht dass ich slowakisch oder kroatisch besser verstehen würde, aber trotzdem.)

Der Teil in Kroatien ist recht kurz, mein Tourenbuch sagt 165,5 km. Maar inzwischen fahre ich nicht mehr immer wie’s im Buch steht, teils aus Versehen und teils mit Absicht (über die Kilometerangaben übernehme ich also keine Garantie). Die Wege verlaufen ungefähr in der Nähe der Donau, aber man sieht den Fluss nur selten.

Es gibt zwar auch Schilder, aber seit der Slowakei muss man viel mehr selbst auf die Route achten (hat auch was, man fühlt sich viel mehr als Pfad-Finder). In Deutschland und Österreich braucht man meistens nur drauf los radeln, bis wieder ein Schild kommt.

Inzwischen habe ich mich mit Maps.me angefreundet. Damit, mit meinem Radführer und mit den Ratschlägen der Einheimischen klappt es recht oft.

Im Gegensatz zu Serbien ist die kroatische Seite der Donau (dieses Mal heißt sie Dunav, und bildet über die gesamte Länge in Kroatien die Grenze) teilweise hügelig.

Ich weiß jetzt, dass ich Steigungen von 8% im 2.Gang fahren kann, und Steigungen von 11% im ersten, wenn sie nicht zu lange sind, sonst muss ich doch schieben. Aber dann hat man danach auch wieder eine schöne Abfahrt. Das jedenfalls dachte ich vorgestern… Gestern musste ich allerdings bei 8%-Steigungen schieben, die mindestens so steil waren wie die 11% vom Vortag. Auch hier sind die Grenzen also fließend („Alles fließt, und nichts bleibt“). Ob  es sich nun um meine Grenzen oder um die der kroatischen Vermessungsspezialisten geht, sei dahingestellt.

Es ist jetzt Donnerstag, 28. September, sehe ich auf meinem Handy. Es sind solch intensive Tage, dass ich jetzt trotz des schönen Wetters die Zeit nehme, um innezuhalten und zu schreiben. Ich bin nämlich bereits wieder an der nächsten Grenze, in Ilok. Ich brauche nur die Donau zu überqueren, und schon bin ich in Serbien.

Ich muss doch immer eine kleine innerliche Schwelle überschreiten, bevor ich ein anderes Land betrete. Abschied nehmen, loslassen, offen sein für das Neue.

Es wird so langsam Zeit, mir die kyrillische Schrift ein bisschen vertraut zu machen, so dass ich in Bulgarien zumindest die Wörter entziffern kann. Und vielleicht muss ich auch so langsam eine Art Zeitplanung machen (mein Gott, was war das auch wieder??). Es fühlt sich an, als hätte ich unbeschränkt Zeit (und Geld… haha…), aber so ganz stimmt das natürlich nicht…

Die spannendsten und nicht „planbaren“ Länder sind Bulgarien und Rumänien. Ich bekomme auch regelmäßig Warnungen, um nicht alleine zu reisen, überhaupt als Frau, so dass ich zeitweise wieder etwas unsicher wurde. Zum Glück habe ich mit Esther eine zuverlässige Informationsquelle, und weiß ich, worauf ich konkret achten muss. Sie kennt Bulgarien wie ihre Westentasche. Außerdem kann ich ja jederzeit meine Pläne ändern, wenn ich mich nicht mehr sicher oder wohl fühle.

Ich probiere so vorsichtig wie nötig und so offen wie möglich zu sein, und mich wie ein Gast zu verhalten. Bis jetzt funktioniert das hervorragend.

Die Kroaten haben übrigens ein schönes Wort für stehlen, keine Ahnung, ob das ein richtiges „Wörterbuch-Wort“ ist. Sie sprechen es auch wie „Zaptzerap“ und machen dabei die bekannte vom Handgelenk aus drehende Bewegung.

Heute Nacht habe ich einem ehemaligen alten Kino geschlafen, das als Hostel benutzt wird. Ganz allein in einem Haus mit 52 Betten! Es kam jemand um mir die Tür aufzuschließen, und wenn ich nachher wieder gehe, muss ich den Schlüssel in den Briefkasten schmeißen. Hier sitze ich also, in einem alten Filmsaal, und schreibe. Wenn ihr irgendwann mal in die Gegend kommt, unbedingt anschauen, es ist wie im Film! Cinema Hostel heißt es, in Ilok wie gesagt.

Gestern schlief ich in einem Dorf in der Nähe von Vukovar, wo 1991 die Schlacht um Vukovar stattfand. Es ist bizarr, weil es noch gar nicht lange her ist. Man sieht in der Dörfern und Städtchen noch Häuser mit Schießlöchern, ab und zu steht im Brachland ein großes Schild, das vor Landminen warnt, die es noch immer gibt (ich hatte es gelesen und war darauf vorbereitet), und dann sehe ich die jungen Leute um die 20 Jahre, die neue Generation, die von alledem nichts mitgemacht haben.

Was mir auch auffällt hier in Kroatien: ich radle immer wieder durch fast verlassene Dörfer mit verfallen Häusern. Ich sehe Hühner und Hunde, ab und zu ist ein Maschinengeräusch zu hören, vor manchen Häusern steht ein schön glänzendes Auto, andere Häuser sind in grellen Farben gestrichen.

Es gibt kaum Arbeit, das ist ein großes Problem. In Ungarn hörte ich das auch bereits, aber ich habe den Eindruck, dass es hier in Kroatien schlimmer ist. Viele junge Leute gehen deshalb ins Ausland, nach Irland z.B., oder nach Deutschland. Ein anderes großes Problem, worüber mir gestern meine Zimmervermieterin erzählte, ist die Korruption. Das geht sogar so weit, dass man den Arzt schmieren muss, dass er bereit ist zu operieren. Es sind ihre eigenen Erfahrungen. Und wenig hoffnungsvoll ist, dass die Korruption bis in die höchsten Regierungskreise verbreitet ist. Jeder weiß es, und niemand kann etwas dagegen tun.

Und wie geht es mir? Habe ich nicht so langsam genug? Heimweh? Was fällt mir schwer?

Es geht mir gut. Das Radfahren macht noch immer Spaß, auch allein. Ich bin schon ziemlich lange unterwegs, finde ich. Bei fast allen ist der Urlaub vorbei und der Alltag wieder begonnen. Inzwischen fühlt es sich zum Teil auch wie eine Art Alltagsleben an. Es ist Routine geworden, jedes Mal mein Bündel wieder zu packen (alles hat jetzt seinen Platz, und meine Hände finden in den dunklen Tiefen meiner Fahrradtaschen relativ schnell die Sachen), essen zu kaufen (nicht zu viel und nicht zu wenig), einen Schlafplatz zu suchen, Kleider zu waschen.

Manchmal vermisse ich meine Leute zu Hause, aber nicht oft und lange genug, als dass ich jetzt heimkehren will. Allerdings freue ich mich schon sehr, euch wieder zu sehen! Ich spüre, dass viel an mich gedacht wird, und das tut mir gut!

Ich erlebe so viel hier. Mein Gehirn arbeitet manchmal auf Hochtouren, weil es nichts vergessen will. Und ich möchte es so gern mit euch teilen, dass ich in Gedanken ganze Blogs schreibe auf meinem Fahrrad…

Eigentlich ist es mir noch kein einziges Mal schlecht gegangen. Ja, letzte Woche war es kalt und nass, dann habe ich absolut keine Lust, raus zu gehen. Oder ich bin müde oder stoße mein Knie an, solche normalen Sachen eben, die man zu Hause auch hat.

Freundliche Menschen, denen begegne ich viel! Sogar zwei Polizisten in Ungarn, die mich laut hupend anhielten um mich streng zurechtzuweisen, weil ich in einer Einbahnstraße in die falsche Richtung fuhr, wurden sofort freundlich, als ich sie fragte, ob sie vielleicht eine Übernachtungsadresse wüssten. Sie schauten einander an, schüttelten mitleidvollen Blickes ihre Köpfe, wünschten mir viel Erfolg und fuhren weiter. (Vielleicht verstanden sie auch kein Englisch…)

Da wir gerade wieder in Ungarn zurück sind, muss ich euch noch zwei besondere Begebenheiten erzählen: ich radelte ein Stückchen mit zwei österreichischen Damen, und gerade als wir uns wieder verabschieden wollten, fiel die eine über die Bürgersteigkante. Sah harmlos aus, aber sie konnte nicht mehr weiterfahren. Was danach passierte, ist vielleicht typisch für eine kleine Dorfgemeinschaft, vielleicht würde das bei uns auch so gehen. So ungefähr das ganze Dorf half mit, es wurde telefoniert und diskutiert. Eine Frau wurde herbeigerufen, die deutsch konnte, und die Verletzte mit dem Auto zum Arzt im nächstliegenden Städtchen fuhr (davor musste sie erst noch einen Babysitter für ihr Töchterchen organisieren). Es wurde sogar der Bürgermeister zu Hilfe gerufen, der dann für uns drei einen Schlafplatz organisierte!

(Das war an dem einen warmen und trockenen Tag der Woche, an dem ich mir vorgenommen hatte, viel zu fahren…)

Zwei Tage später war ich in einem Dorf mit vielen sogenannten Donauschwaben. Ich konnte einfach schwäbisch schwätze! Das ist verrückt.

Im 17./18. Jahrhundert, nach den Türkenkriegen, wurden von der österreich-ungarischen Monarchie deutsche Bauern und Handwerker im entvölkerten südlichen Ungarn angesiedelt. Bis auf den heutigen Tag wird in diesen Familien viel deutsch gesprochen.

Mit diesem Städtchen, Hajós, hat es noch was Besonderes auf sich: 3 km außerhalb liegt das Dörfchen Hajós Pincék (Pincék bedeutet Keller), mit nur Weinkellern, mehr als 1200! Europas größtes Weinkellerdorf.

Es liegt nicht auf der Route, aber ich hatte darüber gelesen und wollte es gerne sehen.

Wie gesagt, es war nasskalt, 13 Grad Höchsttemperatur, und mir wurde gesagt, dass wegen des Wetters wahrscheinlich alle Weinkeller geschlossen sind. Doch traf ich zwei Weinbauern bei der Arbeit in ihrem Keller. Sofort ein paar Gläser neuen Wein bekommen (hatte vergessen, dass der mehr Alkohol als der normale Wein hat) und eine Einladung zu bleiben und am folgenden Tag bei der Weinlese zu helfen. Ich brauchte nicht lange drüber nachzudenken.

Außer dass ich Zeit brauche, um alle Eindrücke zu verarbeiten und um meine Kräfte gut einzuteilen, brauchen auch Begegnungen Zeit. Eine echte Begegnung kann nur schwer stattfinden, wenn man an den Menschen vorbeifährt. Und darum ging es mir doch vor allem?

Es bildet sich eine Idee um nächstes Jahr eine Reise zu organisieren. Eine Einladung des Weinbauern habe ich schon, ich bin willkommen und darf noch mehr Leute mitbringen. In meiner Fantasie sehe ich uns bereits in einem Kleinbus Richtung Ungarn/Kroatien fahren, mit ein paar großen Käselaiben als Mitbringsel in unserm Gepäck, den haben sie hier nämlich nicht erfunden :-) (oder ich habe ihn noch nicht entdeckt).

Die Anmeldung für Interessenten ist eröffnet…

Jetzt habe ich euch wieder „zugetextet“, aber lasst euch Zeit, es dauert wahrscheinlich wieder eine Weile…

Habt’s gut!

6 Reacties

  1. Veronika:
    2 oktober 2017
    Liebe Anne es freut mich so von dir zu hören und deinen spannenden Bericht zu lesen.
    Vielen Dank dass du uns an deiner Reise teilnehmen lässt. Ich denke viel an dich und drück die Daumen dass du weiterhin von so positive Erlebnissen bericht kannst.
    Herzliche Grüsse Veronika
  2. Sas:
    4 oktober 2017
    Hihi, ik zie nadat ik dit gelezen heb pas, dat je ook een NL versie hebt ;) Ben ook een slow traveller, haha! Mooi om zo wat met je mee te kunnen reizen, met je belevingen en belevenissen. Ja, ik denk zo op straat wel es ineens: hey, Anne, hoe zou ze het hebben? En dan is je blog er ;) Wat je eerder schreef, over je vrijheid zo sterk ervaren, juist omdat je je verbonden weet met vrienden en familie elders, blijft me bij. Krachtige wetenschap. Wat heerlijk dat je lijf ook zo goed meedoet! Dat beleven is ook zo veel waard. Nu heb je de routine te pakken, merk je op, en dan zie ik je zo voor me met je wasje, slaapplaats vindtocht, inpakken, de fiets op, kaartlezen, google-vertaler, boodschapje, uitpakken; ik vind de klank van je verhaal erbij zo leuk, als dat het je goed af gaat, en dat het je goed doet. Heel fijn zo! Bonne route verder! liefs, sas
  3. Irene:
    4 oktober 2017
    Liebe Anne, wunderbare Geschichten....und herrlich zu wissen dass es dir so gut geht.hier auch Alles ok. Denke oft an dich.
    Ganz kurz denn fahre gleich zur Arbeit😀😆😐
  4. Klaus Peter Temmes:
    5 oktober 2017
    Hallo Anne, wir freuen uns ganz arg mit Dir, dass es Dir gut geht, dass Du gute, tolle Erfahrungen und Begegnungen machst und dass Du für uns Daheimgebliebenen einfach interessant, anschaulich und tiefsinnig schreibst. ( Weckt bei mir auf jeden Fall die Reiselust)
    Auf der Arbeit habe ich ja aktuell oft mit rumänischen Staatsbürgern ( auch Bulgaren) zu tun und da bekomme ich das "zapptzerapp" auch ganz oft zu hören!
    Neulich nachts sah ich eine Doku über Bulgarien, " das Armenhaus Europas" und es war sehr bedrückend. Aber dies - oder gerade deshalb - sollte es dich nicht abhalten, wie bisher ganz offen auf die Menschen zuzugehen.
    Ganz viele Grüße vom Dorfbach, Klaus , Andrea und Kinder
    P.S.: leider liegt Sepp wieder mit einem Schlaganfall in der Klinik- so nah ist halt Schönes und nicht so Schönes beieinander.
  5. Rouly Raftopoulou:
    13 oktober 2017
    Meine liebe Anne!
    Ich habe nicht erwartet, dass Du noch unterwegs bist, deshalb habe ich Dir ein e.mail Deiner ueblichen mail-Adresse vor Paar Tagen geshickt und dort beschreibe ich Dir meine "Abenteure".....
    Auf alle Faelle bewundere ich so sehr Deine seelische und koerpoerliche kraefte, die so noetig fuer eine so anspruchsvolle Reise sind!!!!!!!!!!!!!
    Bleib gesund, vorsichtig und kaemfaerisch!
    Ich umarme Dich,
    Deine Rouly.
  6. Jacqueline van Marion:
    14 oktober 2017
    Hoi Anne,
    Even een berichtje om je te laten weten dat ik veel aan je denk, en 'meereis'!
    Wat een avonturen toch, en indrukken!
    Heel veel groeten uit een lente-achtig Nijmegen!