Serbien

25 oktober 2017

Höchste Zeit für einen neuen Blog..

Ich bin schon ein paar Tage in Vidin (12.Oktober), einer netten bulgarischen Stadt mit ca. 50 000 Einwohnern direkt am Fluss, nicht weit nach dem Grenzübergang von Serbien. Auch hier ist, wie in Kroatien, die Donau (noch immer Dunav) während ihrer gesamten bulgarischen Länge gleichzeitig die nördliche Grenze, zu Rumänien nämlich.

Jetzt bin ich bei den echten Hügeln angekommen, die sich im letzten Teil Serbiens bereits angekündigt hatten.

Seit etwa 400 km benutze ich den letzten der 5 Reiseführer. Er verspricht eine abenteuerliche Reise für konditions- und nervenstarke Fahrer. Ich bin mehr nervenstark…

Die höchsten der vielen Steigungen, die in Bulgarien noch vor mir liegen, will ich elegant umgehen, entweder mit dem Zug oder mit einem Frachtschiff. Ich spüre außerdem das Bedürfnis, länger an einem Ort zu bleiben, ich habe gerade etwas genug vom ständigen Weiterziehen. Die Luft ist ein bisschen raus.. haha..

Ich hätte auch schon früher auf die rumänische Seite wechseln können, da ist es flacher, aber ich möchte auch Bulgarien ein bisschen kennenlernen.

Ich also heute Morgen ins Hafengebäude um nach einer „MFG“ zu fragen. Ich wusste bereits, dass es schwierig bis unmöglich ist, mit einem Frachter mitfahren zu können, aber man weiß ja nie.

Riesengroßes Gebäude, viel Beton, viel Nichts, kleines Büro mit 3 Mitarbeitern. Vidin hat einen kleinen Hafen, an dem nicht viele Frachtschiffe vorbeikommen. „Zufällig“ liegt gerade eines ein paar km weiter entfernt, das in meine Richtung fährt. Erstmal schauen mich alle drei entgeistert an, dann sagt der männliche Mitarbeiter: „You will go to Ruse with the cargoship? That is not possible.“ Ich bleibe einfach mal sitzen und warte ab, was weiter passieren wird. „It’s not usual. You are the first.” sagt eine der Frauen, greift aber zum Hörer und beginnt zu telefonieren.

Es wird ein ‚agent‘ in Ruse angerufen, die Frau sagt anscheinend, die Crew bestehe aus serbischen Männern – es wäre keine gute Idee da mitzufahren (auch hier sind die Menschen natürlich nicht gefeit gegen (Vor)urteile). Dann wird die Polizei angerufen wegen der Personenliste, in der ich nicht aufgeführt bin. Aber als allererstes müsste ich den Kapitän fragen, der käme wahrscheinlich heute Nachmittag, wenn die Fracht verladen ist.

Die war aber am Nachmittag noch gar nicht eingetroffen, sondern noch auf Lastwagen unterwegs, wenn ich es richtig verstanden habe. Man brauche zudem noch die Erlaubnis des Besitzers des Frachtschiffes in Bosnien-Herzegowina. Eine total unbekannte Welt für mich, die Frachtschifffahrt!

Ich gehe morgen nochmal hin, vermute aber, dass es nicht klappen wird. Bin auf jeden Fall eine Erfahrung reicher!

Darf ich euch zu einem Zeitsprung von ungefähr 2 Wochen in die Vergangenheit einladen? Dann nämlich kam ich nach Serbien.

Was fällt auf in Serbien?

      Außer neuer Sprache (wohl der kroatischen ähnlich) und neuer Währung auch neue Buchstaben (kyrillisch). Zum Glück stehen die meisten Wörter auch noch lateinisch geschrieben.

*       Kein EU-Land, Roaming ausschalten, sonst kann’s teuer werden

*       Es darf geraucht werden in Restaurants und Cafés

*       Massenhaft Abfall am Straßenrand, ganz viel Plastik, Metall, sogar Textil. Wird scheinbar alles einfach aus dem Auto geschmissen.

*       Sportbegeisterte Nation

*        Tafeln Schokolade haben meistens nur 80g

*         Die Toten sind hier allgegenwärtig. Überall trifft man die Todesanzeigen, an den Bäumen, an den Straßenlaternen, an den Häusern (an manchen Häusern sind kleine Gedenktäfelchen eingemeißelt), an öffentlichen Bekanntmachungs-Tafeln an einem zentralen Platz im Dorf. Und alle haben sie ein Gesicht. Auch auf den Grabsteinen sieht man ein Foto der Toten, meistens zusammen mit dem Ehepartner, auch wenn derjenige noch lebt. Ich habe sogar einen Grabstein gesehen mit einem Foto eines Ehepaares, und beide leben noch! Nur das Todesdatum fehlte.

Die Lebenden? Genauso freundlich und hilfsbereit wie auf der anderen Seite der Grenze! Sie winken einem sogar begeistert nach, wenn man an ihnen vorbeifährt, oder wenn sie im Auto an einem vorbeifahren.

Vor meiner Reise gingen bei dem Wort Serbien einige Augenbrauen bedenklich hoch. Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten, und die sind durchweg positiv. Das höre ich übrigens auch von anderen Reisenden.

Ein junger Serbe sagte zu mir: die Rumänen sind die einzigen, die freundlich zu uns sind, alle anderen hassen uns. Auch wenn das recht undifferenziert klingt und nicht unbedingt eine repräsentative Meinung wiedergibt, ich habe es mir zu Herzen genommen und ihm versprochen, dass ich überall erzähle, wieviel Freundlichkeit mir in Serbien begegnet ist. Hiermit also…

Ich kann das Land und die Menschen nur wärmstens empfehlen. Wenn ihr Serbien besuchen wollt, versucht, so viel wie möglich pauschalisierende Urteile und unsere deutschen, holländischen oder welche Maßstäbe auch immer bezüglich Lebensstandard zu Hause zu lassen, sie können uns so die Sicht versperren in den Begegnungen.

Das gilt natürlich für jedes Land, aber für Länder mit einem schlechten Ruf ist es vielleicht besonders wichtig.

Respekt und Bescheidenheit, das habe ich immer mehr bekommen im Lauf der Reise. Vor den Menschen in den Ländern, durch die ich komme, vor der Natur, vor der Geschichte, die uns Menschen und Nationen so sehr prägt. Ich fahre durch jahrtausendealte Geschichte. Die Steinzeit, die Kelten, die Römer, die Osmanen, die Habsburger, die Kaiser und Könige, die Kriege und ihre unsinnigen Opfer, die Helden und die Antihelden, der Eiserne Vorhang, sie alle begleiten mich, und ich merke, wie wenig ich doch weiß, und wie sehr tatsächlich alles im Fluss ist!

In Serbien, genauer gesagt in Novi Sad, hat’s mich dann auf einmal erwischt, das Tief (womit ich zwar gerechnet habe, das mich aber doch unerwartet traf): alles war zu viel, ich wusste nicht mehr weiter. Ich war müde, wollte am liebsten heulen (habe ich auch gemacht) und jemanden neben mir haben, der sagt, was ich tun muss.

Das nächste Ziel wäre Belgrad gewesen, das scheint für Fahrradfahrer eine Katastrophe zu sein. Sowieso ist Fahrradfahren und Großstadt eine schwierige Kombination. Durch das langsame Fortbewegen in der Natur und durch ruhige Dörfer und Städtchen wird man ganz empfänglich für alle Eindrücke. Die Eindrücke einer schnellen Großstadt sind dann einfach zu heftig.

Weil ich nicht weiter wusste, blieb ich noch einen Tag länger in Novi Sad. Dazu musste ich ein anderes Hostel suchen, das konnte ich gerade noch aufbringen..

Novi Sad ist eine sehr lebendige Stadt, ist mein erster Eindruck. Man sieht viele junge Leute, Cafés und Restaurants säumen die Straßen. Ich wurde außerdem Zeuge einer großen Aktion für einen guten Zweck, um ins Guinessbuch der Rekorde zu kommen: von 1 300 000 gesammelten farbigen Schraubverschlüssen wurde auf dem Rathausplatz ein riesengroßes Emblem gelegt. Beeindruckend.

Danach eine sehr gute Entscheidung getroffen: statt der Route zu folgen und auf der rechten Seite der Donau weiterzufahren nach Belgrad (verkehrsreiche Straße mit einigen Steigungen), habe ich eine Autokarte gekauft, mit deren Hilfe und mit Maps.me ich mich getraut habe, den Radführer für eine Weile beiseite zu legen und auf der linken Donauseite zu fahren (kleine Landstraßen und flach). Diese Variante hatte mir übrigens bereits am Abend zuvor ein lieber, fast zahnloser, etwas angeheiterter Zeichner und Fotograf empfohlen..

Auch wenn’s teilweise über einen Acker ging – ich bin ja so froh mit meinen Winterreifen! Überhaupt freue ich mich jeden Tag an meinem Fahrrad, oder sagte ich das bereits? – es war eine herrliche Tour durch die Vojvodina, die autonome Provinz nördlich der Donau, die als Kornkammer Serbiens bezeichnet wird und Teil der Pannonischen Tiefebene ist. Ich kam auch an einem Brunnen vorbei, an dem viele Menschen große Wasserflaschen füllten und tranken. Es sei ganz besonderes Wasser, erzählten sie, es stamme aus der Zeit der Dinosaurier, ich müsse es unbedingt probieren. Tat ich... Es stammt glaube ich tatsächlich aus der Zeit, es schmeckte ehrlich gesagt eklig.

Und ich habe tatsächlich beschlossen, die vierte und letzte Hauptstadt an der Donau rechts liegen zu lassen, und habe mich in Pančevo bei einem ganz netten Ehepaar einquartiert. Später bekam ich sogar einen Bericht von ihnen, ob es mir gut gehe, sie würden oft an mich denken.

Belgrad ist es sicher wert, um einmal eine ganze Woche dort zu verbringen.

Meine weitere Reise in Serbien ist, wie immer will ich schon fast sagen, geprägt von besonderen Begegnungen.

Auf dem Boot treffe ich Heike, eine andere alleinreisende Frau aus Hamburg. Verglichen mit ihr bin ich „bescheiden“ unterwegs. Sie wird bis April nächsten Jahres Fahrrad fahren, u.a. in Thailand und Neuseeland.

Wir verbringen zwei Tage zusammen (auch sehr schön, zu zweit) und fahren Richtung Donaudurchbruch. Das Eiserne Tor beginnt beim Städtchen Golubac (wo wir für wenig Geld eine großzügige Ferienwohnung mieten mit Blick auf die Donau, so dass wir deshalb fast noch einen Tag länger bleiben). Hier verbreitert sich der Fluss auf einmal auf fast 6 km, um sich danach plötzlich auf ein paar 100 m zu verengen. Die Strecke bis zum Kraftwerk Eisernes Tor 1 ist etwa 100 km lang. Schroffe Felsen sind unsere Wegbegleiter, ein Auf und Ab, wir müssen durch einige Tunnels fahren, aber es ist zum Glück sehr wenig Verkehr. Wir übernachten nochmal zusammen in Donji Milanovac, einem der 17 Orte, die durch den Bau des Staudamms an höherer Stelle wieder aufgebaut wurden, da der Wasserspiegel um 35 m angehoben wurde. 25 000 Menschen mussten umziehen. Der Damm wurde in den Jahren 1962 bis 1974 als Gemeinschaftsprojekt zwischen dem ehemaligen Jugoslawien und Rumänien erbaut.

Entlang des Eisernen Tores, sowohl auf der serbischen als auch auf der rumänischen Seite der Donau erstreckt sich der gigantische Nationalpark Eisernes Tor, serbisch „Ɖerdap“, rumänisch „Portile de Fire“. Allein auf der serbischen Seite umfasst der Park eine Fläche von 64 000 Hektar.

Unsere Wege trennen sich, Heike fährt weiter, sie wechselt beim Kraftwerk die Seite und das Land. Ich bleibe vorläufig in Serbien, aber bevor ich weiterfahre, verbringe ich erst noch 2 Tage auf Kapetan Mišin Breg (Kapitän Mischas Berg), einem besonderen Platz hoch über der Donau mit einem wunderbaren Ausblick. Dort wohnt Zika, der barfüßige Künstler mit seiner Familie. Ein kleines Familienunternehmen, sie nennen es Eko Ethno Komplex, man kann dort in einfachen Zimmern übernachten und in der gemütlichen Gaststube „ehrlich“ essen. Der riesige Garten ist als Open Air Gallery eingerichtet, und überall gibt es originelle Sitzgelegenheiten. Auch ein Platz, den man sich merken muss, für unsere Reisegruppe… Sie haben 12 Betten, und man muss als Gruppe lange im Voraus reservieren.

Da es den ganzen Tag regnet, sitze ich vor allem in der Gaststube, schreibe und lese. In regelmäßigen Abständen kommt jemand und legt frisches Holz in den Ofen.

Kapitän Мiša Anastasijević war übrigens ein berühmter serbischer Wohltäter im 19. Jahrhundert.

Am Sonntag zeigt die Sonne wieder ihr Gesicht und will auch ich weiterfahren zum „eigentlichen“ Donaudurchbruch. Es geht wieder hoch und runter, aber man wird mit fantastischen Ausblicken reich belohnt! Diese Felsen, die steil aus dem Wasser ragen, die engste Stelle, 150 m breit – ich betrachte es still und voller Bewunderung!

Ebenso beeindruckend meine nächste Übernachtung, in dem kleinen Dorf kurz nach dem Kraftwerk (ich weiß jetzt, dass „power plant“ keine Pflanze mit besonderer Kraft ist, sondern das englische Wort für Kraftwerk…) bei Žikica. Sie hat ihr ganzes Haus bereits voller Gäste, und quartiert mich kurzerhand zu sich ins Wohnzimmer ein, dahin war sie selbst nämlich bereits umgezogen.

Zufällig ist sie gerade am Kochen für ein paar ihrer Gäste, und ich darf mich an ihren herrlichen Speisen satt essen!

Am Abend helfe ich ihr noch, riesige Fleischberge zu verpacken und einzufrieren. Der Vorrat ist schätzungsweise für 2 Jahre, aber sie sagt, in 3 Monaten ist alles weg!

Mein Frühstück besteht ebenfalls aus einer warmen Mahlzeit, mit Reis und… Fleisch. Sie ernennt mich zu ihrer Schwester und verlangt einen lächerlichen Preis. Eine Massage nimmt sie jedoch gerne an. Mit frischer Energie radle ich nach Negotin, der letzten Stadt kurz vor der Grenze zu Bulgarien, wo ich noch einmal übernachte, bevor ich eines der zwei Länder betrete, bei denen noch viel mehr Augenbrauen bedenklich hochgezogen wurden.

Womit wir ungefähr wieder beim Anfang meines Berichtes angekommen wären - und inzwischen liegt das auch schon wieder eine Woche zurück… haha

Die höchsten Berge in Bulgarien habe ich nicht mit dem Frachtschiff, sondern mit dem Zug bewältigt.

Über meine weiteren bulgarischen Abenteuer werde ich euch in meinem nächsten Blog berichten, sonst wird das ja nichts mehr!

Es ist jetzt Samstagnacht, 21. Oktober (Hee Christine, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!), meine erste Nacht in Rumänien! Ich hoffe, dass ich morgen den holländischen Bericht schreiben kann, so dass ihr endlich wieder was zum Lesen habt :-)

Vielen Dank an dieser Stelle auch für eure Reaktionen! Ihr wisst, dass ich mich darüber freue, auch wenn ich nicht einzeln darauf antworte.

Noch eine letzte Meldung: So wie es jetzt aussieht, komme ich 15. oder 16. November wieder heim! Und ich brauche mich nicht mal um die Heimreise zu kümmern (höchstens eine schöne Route heraussuchen…), Tom holt mich nämlich tatsächlich mit dem Auto ab. Oh, was für ein herrlicher Luxus!

Und eine allerletzte Mitteilung: Heute ist Mittwoch 25. Oktober, ich bin in Constanta in Rumänien. Montag frühmorgens um 5:00 (4:00 eure Zeit) stand ich hier in Dunkelheit, Kälte und Wind am Schwarzen Meer und wartete auf den Sonnenaufgang! Aber das ist wieder eine andere Geschichte…

Noch ungefähr 200 km radeln am Schwarzen Meer entlang bis zum Donaudelta, meinem erwarteten Endziel dieser Reise (ich habe also kurzzeitig die Donau verlassen, und wir treffen uns wieder im Delta). Gestern und heute war es hier sehr windig und kalt. In der nächsten Woche sind es nicht mehr die Hügel, die rauf und runter gehen, sondern die Temperaturen :-(

Foto’s

1 Reactie

  1. Bernhard Schuler:
    30 oktober 2017
    Liebe Anne, wähend Du in der Welt rumradelst, bekommen andere Kinder. Eva hat am 27.10. einen Kilian Frederik entbunden, 3540 g und 52 cm groß. Wir sind alle sehr glücklich. Sie hat auch ihre Mahe-Hauptprüfung am 19.10. mit 1,5 bestanden. Da kann man nur noch gratulieren.
    Deine letzten Eintragungen haben mich sehr angesprochen. Mir fällt auf, dass die Begegnung mit anderen Menschen die entscheidenden Erlebnisse sind, weniger die "Sehenswürdigkeiten". Über Deine Reise musst du unbedingt ein Buch schreiben und veröffentlichen!!!!! Gruß aus dem für Dich jetzt "fernen" Freiburg. Bernhard